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Extremismus und Radikalisierung

Eine Person zeigt den Zeigefinger nach oben, drei Personen schauen erschrocken.

Wertfrei betrachtet sind Extremismus und Radikalisierung Begriffe, die einen Zustand, bzw. einen Prozess beschreiben, an dessen Ende eine Person eine Haltung entwickelt hat, die als Zielsetzung eine substantielle Veränderung des politischen Systems verfolgt. Radikalisierung ist in diesem Sinne, auch historisch betrachtet, keinesfalls grundsätzlich etwas Schlechtes. Zudem gehört radikales Denken und ein sich Auflehnen und Infragestellen der vorherrschenden Regeln und Strukturen in der Jugend zur Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit. Radikalität ist in einer freien, pluralistischen Gesellschaft also nicht illegitim, denn auch radikale Positionierungen fallen unter den grundrechtlich garantierten Schutz der freien Meinungsäußerung.

Extremismus ist ein politischer Begriff zur Ausgrenzung bestimmter Meinungen, Werte und Normen vom politischen Diskurs. Eine inhaltliche Definition kann nur in Abgrenzung von einem anderen Begriff oder Wert vorgenommen werden. In der Extremismusforschung hat sich daher eine Definition etabliert, welche Extremismus als Sammelbegriff aller politischen Einstellungen und Bestrebungen definiert, die den modernen demokratischen Verfassungsstaat abschaffen oder einschränken wollen.

Aus Sicht der Sicherheitsbehörden, und insbesondere des Verfassungsschutzes, ist Extremist, wer sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung stellt. Diese Definition geht zurück auf das Verbotsurteil gegen die Sozialistische Reichspartei des Bundesverfassungsgerichts von 1958. In Abgrenzung dazu wird Radikalität als Begriff für legitime Positionen verwendet. Radikalisierungsprozesse sind somit ergebnisoffen und führen keinesfalls immer zu extremistischen Haltungen und Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung .

In einer freien, demokratischen Gesellschaft führt die Frage des richtigen Umgangs mit denen, die die Freiheit, die Toleranz und die Demokratie abschaffen wollen zum Paradox der Toleranz, wie es Karl Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ 1944 formulierte:

„Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Die Extremismusprävention ist somit als eine der möglichen Antworten der freiheitlichen Gesellschaft auf dieses Problem zu verstehen. Extremistisches Denken und Radikalität können und sollen nicht verboten werden, sondern Extremismusprävention ist in erster Linie der aktive Einsatz für Freiheit, Toleranz und Demokratie. Die offene Gesellschaft muss auch in der Auseinandersetzung mit intoleranten, illiberalen Extremist*innen immer ein Angebot zur Hilfe bei dem Ausstieg und bei der Reintegration in die offene Gesellschaft offerieren.

Darüber hinaus verpflichtet die Auseinandersetzung mit extremistischen Strömungen auch dazu, die Ursachen zu erforschen. Denn, Extremismus muss immer auch als Spiegel der Gesellschaft verstanden werden, gegen die er sich richtet und es gilt, die ihm zugrunde liegenden Defizite der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ernst zu nehmen. Radikalisierung muss nicht zwingend zu Gewaltbereitschaft führen und häufig beruht die Hinwendung einer Person zu extremistischen Ideologien in legitimen Fragen der sozialen und/oder ökonomischen Ausgrenzung und Diskriminierung, zu globalen Krisen, Kriegen und Ungerechtigkeit, oder auf Identitätskrisen und Existenzängsten. Die Gesellschaft muss darauf achten, sich der Themen anzunehmen, die die Extremist*innen mit scheinbar einfachen Lösungsversprechungen bespielen.

weiterführende Informationen und Lesetipps

Umfassende Informationen und weiterführende Literatur zum Einstieg in das Thema finden Sie auf der Seite des Infodienstes Radikalisierungsprävention der Bundeszentrale für politische Bildung.

Das Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2017/18 (I), Brühl /Rheinland 2018 bietet einen Umfangreichen Überblick über die vergleichende Extremismusforschung und den aktuellen Forschungsstand in den Phänomenbereichen.